Was kann ein musiktreibender Verein in Zeiten einer Pandemie tun, wenn er nicht proben geschweige denn auftreten darf? Es gibt durchaus Möglichkeiten....

Gefördert durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt

stiftung

 

Was können wir als Akkordeon-Orchester tun, wenn gemeinsames Musizieren nicht erlaubt ist?
Diese Frage geisterte nun schon länger durch unsere Köpfe.
Natürlich hätte jeder Spieler die Möglichkeit, sein individuelles Können durch vielfältige Übungsarbeit zu professionalisieren - so die graue Theorie.
Praktisch scheiterte mancher schon beim Auspacken seines Instrumentes - was sollte man Spielen ? Worauf sollte man Üben? In absehbarer Zeit waren keine Auftritte in Aussicht.
Auch wurden die wöchentlichen nun freien Mittwochabende oft schon durch „wichtige“ Fernsehereignisse o.ä. blockiert - was sollte man sonst auch tun? Eine allgegenwärtige Müdigkeit und zunehmende Gereiztheit hemmte zusätzlich größere musikalische Ambitionen.
Die regelmäßigen Informations-Emails unserer Verbandes DHV (Deutscher Harmonika Verband) ließen ebenfalls keine Hoffnung auf eine Änderung in den nächsten Monaten aufkeimen.
Unsere Vereinskontakte beschränkten sich auf 14tägige digitale Treffen im Chat, sofern es die Technik und Internetverbindung erlaubte - die technischen Schwierigkeiten brachten zumindest etwas Spannung in die Sache…

Ende September informierte uns der Verband über ein neues Förderprogramm der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt mit dem Titel: „Gemeinsam Wirken in Zeiten von Corona“.
Nach einer längeren Diskussion über das Thema dieser Förderung, über einen Nutzen für unseren Verein und nach einer Umfrage unter allen Orchestermitgliedern, war es beschlossene Sache - wir hatten endlich wieder ein gemeinsames Ziel vor Augen. Wir bewerben uns und beantragen Fördermittel für ein digitales Projekt.
Manuel Fuchs hat sich dankenswerterweise der Ausarbeitung des Projekts angenommen und Anfang Oktober einen Antrag an die Stiftung eingereicht.
Die offizielle Projektformulierung:
„Musiktreibende Vereine suchen alternative Auftrittsmöglichkeiten in Zeiten einer Pandemie.
Unser Projekt ist die Erstellung einer Heimstudioaufnahme mit Video. Jeder Spieler kann mit mobilen Aufnahmegeräten seinen Part aufnehmen, welcher dann mit DAW-Software und anderen Parts zu einem ganzen Musikstück gemischt wird. Ergänzt durch ein selbst gedrehtes Musikvideo kann das Ergebnis über Internetplattformen mit Vereinsmitglieder oder der ganzen Welt geteilt werden.“
Mit folgenden Zielen:
„Perspektiven zum gemeinsamen Musizieren und Auftreten in Zeiten einer Pandemie zu schaffen" und „Erlernen von Fertigkeiten, die modernen und digitalen Möglichkeiten in der Musik zu nutzen“

Soviel nochmals zur grauen Theorie :o)

Anfang Dezember erhielten wir tatsächlich die Zusage der Stiftung und das benötigte Equipment (Aufnahmegeräte, Mikrofone, Videokamera, Software) konnte besorgt werden.
Am 5. Januar schließlich fiel der Startschuss zu unserem Projekt „Heimstudio“.

Die Praxisphase

Anfang Januar verschickte unser Projektleiter Manuel Fuchs seine erste Anweisungs-Email an alle Orchestermitglieder. (Es sollten noch einige folgen…)
Diese war extrem wichtig, da nur wenige von uns bereits Erfahrungen mit Aufnahmegeräten gesammelt hatten und nicht alle das Üben mit einem Metronom gewohnt waren.
Zur Erklärung: Alle Spieler sollten im gleichen Tempo spielen, damit das Mischen nicht noch aufwendiger werden würde.
Manuel wählte den Musiktitel „1980-F“ von After the Fire aus. Ein Stück mit klaren Rhythmen, vielen Wiederholungen von einzelnen Sequenzen und beliebt bei allen Spielern. Netterweise hatte er zusammen mit Anja Kustermann ein kurzweiliges Erklär-Video erstellt, um allen das langwierige Einlesen in die Feinheiten der Technik zu ersparen.
Die Aufnahme-Anweisung der einzelnen Takte zum Beispiel für die 1. Stimme sah folgendermaßen aus: Takte 3-6, Takte 23-26, Takte 27-28, Takte 33-34 usw.
Wie anfangs erwähnt, wir sind keine Profis und dementsprechend gestaltete sich die Praxis bei jedem unterschiedlich. War der eine gleich mit seiner ersten Aufnahme zufrieden, fühlten sich andere wie in einer Prüfungssituation und mussten zuerst ihre Nervosität überwinden um akzeptable Versionen aufzunehmen. Eine ungewohnte und spannende Situation -und ja, es machte auch Spaß :o)
Bereits Mitte Februar konnte uns Manuel erste Resultate präsentieren. In einer regelrechten Fleißarbeit hatte er alle Parts auf die gleiche Lautstärke gebracht, an die richtigen Stellen geschoben und kleine Unstimmigkeiten ausgebessert. Wir waren begeistert - die Rohfassung hörte sich toll an! Weiter ging es mit der Feinbearbeitung - einzelne Übertragungen waren im digitalen Nirvana verschollen und wurden wiederholt eingespielt, mancher Spieler musste krankheitsbedingt kurzfristig ersetzt werden.
Bis Mitte März wollten wir mit dem Audioteil fertig sein, oder wie es Manuel passend formulierte „fertig sein mit dem Herumdoktern“.
Seine Anweisungs-Email Nr. 346 kündigte den nächsten Projektschritt an: „Wie drehen wir ein Musikvideo?“

Hollywood ruft…

 Wie drehen wir ein Musikvideo? Mit dieser Frage begann Anfang März unser Vereins-Chat.
Dabei ging es zunächst nicht um die technischen Aspekte, sondern vielmehr um die
„großen W-Fragen“:
Wer ist dabei? - Alle möchten mitmachen.
Was wollen wir filmen? - Es war nicht einfach, ein Thema zu finden.
Wie lang soll das Video werden? - Die Länge war aufgrund der Länge des Musikstückes mit ca. 2:40 Minuten vorgegeben.
Warum ? - Das war die schwierigste Frage…

Letztendlich standen verschiedene Themen zur Abstimmung:
1. Einen 80er Jahre Bezug zum Musikstück herstellen
2. Eine Persiflage der Sendung „Na sowas“ mit Thomas Gottschalk
3. Ein Video bestehend aus kurzen Einzel-Sequenzen, wobei der Musiktitel „1980-F“ kreativ untergebracht wird.
Da wir bereits für eine Hochzeit ein ähnliches Video zum Thema „Herz“ gedreht hatten, welches sehr gut ankam, entschieden wir uns für die 3. Variante.
Zusätzlich fanden wir im Internet eine lustige Idee: ein Musikverein reicht sehr ideenreich eine Rolle Klopapier von Spieler zu Spieler weiter.
Jetzt stand das Prinzip fest. Jeder Spieler gibt in seinem Abschnitt einen Gegenstand weiter. Dieser kann sich beim nächsten Spieler verändert haben. Als roter Faden zieht sich der Titel „1980-F“ durch den Film und ein zeitlicher Tagesablauf sollte entstehen.
Zum Beispiel: Person 1 liegt morgens im Bett, der Wecker klingelt, Person 1 schaut genervt auf seinen Wecker und wirft diesen aus dem rechten Bildrand.
Person 2 steht im Bad, nimmt vom linken Bildrand einen Rasierapparat entgegen und rasiert sich usw.
Jeder Spieler hat etwa 8 Sekunden Zeit für seine Sequenz. Am Ende sind alle Beteiligten gemeinsam auf einem Bildermosaik in ihren Aufnahmestudios zu sehen.
Soweit so gut - beim Drehen lief trotzdem einiges schief.
Vom plötzlichen Lachflash, einer akuten Wasabi-Vergiftung, Akku-Ausfällen, einer neu entdeckten Rechts-Links-Schwäche, Verwechslung von Flüssighonig mit Duchschgel war alles dabei.
Wir hatten viel Spaß in den letzten Monaten, wenn auch manchmal etwas Druck vom Vorstand nötig war. Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen. Oder wie unser Dirigent schreibt:“ Es ist umwerfend, toller Sound, gut gemischt und das Ergebnis klasse.“
Herzlichen Dank an die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt und an alle Beteiligten.
Vor allem an unseren technischen Leiter Manuel für die unzähligen Arbeitsstunden am Computer und an unseren Vorstand Wolfe, der den Verein am Laufen und zusammenhält.
Ihr seid die Besten!